Assyriologie und Hethitologie
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Nachruf Ingeborg Hoffmann

 

Ingeborg Hoffmann (*29.07.1943 - †25.04.2011)

Mit großer Trauer geben die Mitarbeiter des „Hethitischen Wörterbuchs“ den Tod von Frau Dr. Ingeborg Hoffmann bekannt. Sie starb nach langer, schwerer Krankheit am 25. April 2011 in Immenstadt.

Ingeborg Hoffmann wurde am 29. Juli 1943 als Tochter des späteren Universitätsprofessors Dr. Helmut Hoffmann und seiner Frau Annemarie, geb. Hoffmann, in Berlin geboren. 1950 zog die Familie, nachdem der Vater einen Ruf an den Lehrstuhl für Indologie und Iranistik an die Ludwig-Maximilians-Universität München erhalten hatte, von Berlin nach München. Dort besuchte sie von 1950-1954 die Volksschule und danach das städtische Luisengymnasium, wo sie 1964 das Abitur ablegte. Im Wintersemester 1964/65 immatrikulierte sie sich an der LMU München zunächst in den Fächern Mittelalterliche Geschichte, Bayerische Geschichte und Hethitologie, wechselte dann aber im Wintersemester 1965/66 zum Fach Indologie, das ab diesem Zeitpunkt ihr Hauptfach wurde. Als zweites Nebenfach nahm sie im Wintersemester 1969/70 noch Tibetologie hinzu. Mit dieser Fächerkombination, Hauptfach Indologie, Nebenfächer Hethitologie und Tibetologie, studierte sie im Sommersemester 1970 an der Rheinischen Friedrich Wilhelms-Universität in Bonn bei Frank Richard Ramm. Im Sommersemester darauf legte sie in München die Magisterprüfung in Indologie, Hethitologie und Tibetologie ab. Ihr Promotionsstudium, das sie mit Hilfe eines Graduiertenstipendiums in München absolvierte, schloss sie 1974 mit ihrer Dissertation, Der Kathakosa. Text und Übersetzung mit bibliographischen Anmerkungen, ab.

Im Jahre 1975 bekam Ingeborg Hoffmann eine Anstellung als wissenschaftliche Mitarbeiterin am „Hethitischen Wörterbuch“ bei Annelies Kammenhuber. Schon während ihres Studiums wurde Ingeborg Hoffmann, wie auch die anderen Studenten von Frau Kammenhuber, in die Vorarbeiten zu diesem Projekt miteinbezogen. Jedoch blieb nur Inge Hoffmann dem Wörterbuch, trotz des Angebotes einer Dozentenstelle einer amerikanischen Universität, ihr ganzes wissenschaftliches Leben lang treu. Nach dem Tode von Annelies Kammenhuber (†24.12.1995) beendete Inge Hoffmann zusammen mit Paola Cotticelli-Kurras die erst halbfertige Lieferung 13 des Hethitischen Wörterbuchs auf eigene Initiative ohne finanzielle Unterstützung und ohne jegliche Perspektive ihrer eigenen beruflichen Zukunft. Ab Lieferung 14, nachdem Dietz-Otto Edzard im Jahr 1997 die Betreuung des „Hethitischen Wörterbuchs“ übernommen und eine erneute Förderung des Projektes durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft erreicht hatte, fungierte Inge Hoffmann als Herausgeberin. Im Jahr 2006 ging sie in den Ruhestand, nachdem sie bereits krankheitsbedingt die Fertigstellung der Lieferung 17 (erschienen 2007) in andere Hände hatte geben müssen. Auch danach blieb sie dem Wörterbuch als Mitherausgeberin, Autorin und vor allem mit ihrem guten Rat erhalten.

Ihrem zurückhaltenden und bescheidenen Naturell entsprechend hielt sich Inge Hoffmann lieber im Hintergrund. Sehr selten traf man sie auf Kongressen oder Symposien. Ebenso große Zurückhaltung übte sie bei der Veröffentlichung von Büchern und Aufsätzen. Ihre gesamte wissenschaftliche Kraft und ihre fundierte und langjährige Kenntnis der hethitischen Texte floss vollständig in ihre Arbeit für das Hethitische Wörterbuch ein. Deshalb wurde sie oftmals unterschätzt und ist manchen Altorientalisten nur als langjährige Mitarbeiterin von Annelies Kammenhuber bekannt. Wer jedoch die Zettelkästen und die von ihr für das Wörterbuch erstellten Transliterationen für seine eigenen Forschungen zu Rate zieht, erkennt meist sehr schnell Inge Hoffmanns Leistungen und Qualitäten. Ihre Transliterationen zeichnen sich durch äußerste Präzision und Korrektheit aus. Penibel wurden Joins, Duplikate und Paralleltexte eingearbeitet, zerstörte Stellen und Textlücken berechnet, sowie Ergänzungen eingefügt. Durch die Verwendung verschiedener Farben, die genaue Zeilenangabe der einsetzenden Texte, die zeichnerische Wiedergabe der abgebrochenen Textränder sowie die Angabe der unterschiedlichen Schreibweisen bzw. der Wortwahl kann jeder Bearbeiter auf einen Blick den Erhaltungszustand sowie die textkritische Situation der jeweiligen Textstelle erfassen. Dies erspart langwieriges Suchen und Vergleichen der zugehörigen Duplikat- bzw. Paralleltexte und erlaubt ein einfaches Einarbeiten neu hinzugekommener Bruchstücke. Bedingt durch ihre fundierte Textkenntnis hinsichtlich des Wortschatzes und der sprachlichen Wendungen aller Textgattungen, bieten ihre Ergänzungen bzw. ihre Ablehnung bereits vorgeschlagener Ergänzungen ein hohes Maß an Sicherheit, wie sich durch neu hinzugekommene Joins immer wieder bestätigte. Ihre große Sicherheit in der Kenntnis der Keilschriftzeichen in Kombination mit der Abwägbarkeit von Abweichungen bzw. Fehlinterpretationen an zerstörten Stellen, erlaubten es ihr, zahlreiche Fehllesungen auszumerzen und zu berichtigen. Nur ein sehr kleiner Teil davon kann im Wörterbuch veröffentlicht werden.

Inge Hoffmanns breites Allgemeinwissen, ihr waches Interesse an Nachbarwissenschaften wie auch an weit entfernten Wissenschaften bereicherten bereits zu Annelies Kammenhubers Zeiten, besonders aber nach deren Tod und der Erweiterung des Mitarbeiterstabes das Wörterbuch mit neuen Ideen, verhinderten aber auch, dass einige zu gewagte Vermutungen in Bezug auf die Interpretation oder die Übersetzung einzelner Textstellen oder bisher nichtbekannte Wortbedeutungen Einzug ins Wörterbuch fanden. Nicht zuletzt bereicherte ihr klarer und verständlicher Aufbau der Stichwörter, der durch Dietz-Otto Edzards Forderung nach Straffung noch verstärkt wurde, die Benutzerfreundlichkeit des Wörterbuches. Ihr untrügliches Gespür bei der in der Wörterbucharbeit immer wieder auftretenden Frage nach einer wörtlichen oder freien Übersetzung einzelner Textstellen sowie ihre Forderung, alle Problemfälle sowohl syntaktischer, grammatikalischer oder inhaltlicher Natur der Texte zwar knapp, aber klar und deutlich ohne Verschleierung darzulegen und - wenn nötig - Fehler sachlich zu berichtigen, erhöhte den Informationsgehalt des Wörterbuches.

Besonders die jüngeren Studenten von Annelies Kammenhuber profitierten sowohl von Hoffmanns umfassender Textkenntnis als auch von ihrer akribischen Arbeitsweise, da Inge Hoffmann – frei von persönlichen Eitelkeiten – jederzeit alle ihre daraus gewonnenen Erkenntnisse freigebig mit ihnen teilte und sie frühzeitig zu ähnlichen Arbeitsweisen anleitete. Jedoch drängte sie niemandem ihre Arbeitsweise oder ihr Wissen oder ihre Theorien auf. Ähnliche Zurückhaltung übte sie auch beim Redigieren von Wörterbuchartikeln, so dass ihre Korrekturen oder kritischen Anmerkungen nicht als Eingriff, sondern als Hilfe aufgefasst wurden. Ihre Hinweise und unbestechliche Kritik werden beim Wörterbuch jeden Tag schmerzlich vermisst.

Trotz ihrer peniblen und meist sehr trockenen und wortkargen Arbeitsweise konnte sie sich sehr wohl humorvoll über die Wissenschaft äußern. Dies bewies sie in einigen scherzhaften Festgaben zu runden Geburtstagen von Münchner Kollegen. So entstand zu Annelies Kammenhubers 60. Geburtstag der „Hethitische Struwelpeter“, ein Bilderbuch, das in Anlehnung an das bekannte Kinderbuch von Karl Hofmann, dessen kleine Geschichten auf hethitische Persönlichkeiten, überträgt. Eine ähnliche humorvolle Bilderbuchgeschichte mit dem Thema „Die hethitische Geschichte in Bildern“ erhielt Barthel Hrouda zu seinem 60. In beiden Fällen verband sie eines ihrer Hobbies, das Zeichnen, mit leicht ironischer Darstellung ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Und in ihrem Beitrag „Ein hethitisches Fragment aus Boğazköy“ in Frustula Orientalia non nimis seria, Fastschrift für Dietz-Otto Edzard zum 60. Geburtstag übersetzte sie das Märchen „Der gestiefelte Kater“ ins Hethitische. Ihr zweites großes Hobby, das Wandern und Bergsteigen, konnte sie zu ihrem großen Verdruss leider nicht mit ihrer Wissenschaft verbinden, obwohl sie nur zu gerne zu Fuß „auf den Spuren der Hethiter“ gewandelt wäre.

Jeder, der das Glück hatte, Inge Hoffmann näher kennenzulernen, wird sie für immer in Erinnerung bewahren und ihr auch im wissenschaftlichen Bereich die Stellung zugestehen, die ihr gebührte.

Albertine Hagenbuchner-Dresel

(erschienen in Archiv für Orientforschung 53 (2015), 500-502)